Zur Sinnhaftigkeit von Vorsorgeuntersuchungen (U7)

„Und?“ fragte die Erzieherin, als ich in den Hof komme. „Sie ist altersgerecht entwickelt“, rufe ich ihr zu. Sie antwortet trocken: „Das hab ich auch gar nicht anders erwartet!“ So empfängt mich die Erzieherin im Kindergarten, nachdem ich mit Wirbelwind von ihrer U7 komme. 
´Sie ist altersgerecht entwickelt.` Irgendwie beruhigt dieser Satz. Eigentlich war es für mich von vorneherein klar. Aber so etwas noch einmal von einer Ärztin zu hören und Schwarz auf Weiß zu haben bestätigt dieses Gefühl. Doch wie realistisch sind diese Einschätzungen der Ärzte? Inwieweit sind sie fähig innerhalb der paar Minuten, die sie sich für die Kleinen Zeit nehmen, ein realistisches Bild ihrer Fähigkeiten zu erhalten? 

So selbstverständlich, wie die Erzieherin Wirbelwinds Entwicklungsstand betrachten kann, so selbstverständlich ist es für die Ärztin nicht. Sie sieht nicht, wie Wirbelwind in ihrer „natürlichen Umgebung“, in freier Wildbahn reagiert. Sie sieht nicht, wie sie Trampolin springt, wie sie Dreirad und Laufrad fährt. Sie sieht nicht, wie sie die höchsten Legotürme baut und sie hört nicht, wie sie von morgens bis abends plappert und plappert.
Was sie sieht ist ein verängstigtes Kind, auch etwas bockig, weil sie in diesem unbekannten Raum sitzt, mit nackten Füßen, mit dieser unbekannten Person. Und diese fremde Person drängt sie dazu sich auf die Waage zu stellen, Türme zu bauen, zu hüpfen und den Ball zu kicken. Sie soll etwas Malen, obwohl sie gar nicht möchte, sie soll ihre Körperteile benennen. Was geht das die fremde Frau an?
Vieles erfährt die Ärztin daher nur aus Mamas Mund. „Kann sie mehr als zwei sinnvolle Wörter sagen? ´Nein` und ´Mama` habe ich ja nun schon gehört. Sagt sie noch etwas anderes?“ „Ja, sie redet schon sehr viel, bestimmt über 200 Wörter.“ „Können Sie ein Beispiel nennen? Was hat sie heute so gesagt?“ „Hm heute Morgen hat sie zum Beispiel gesagt ´Mama, nicht Arzt gehen`“  Die Ärztin findet es weniger lustig, aber bewundernd. Glaubt sie mir etwas nicht? Auch versichere ich ihr, dass sie neben Nase, Auge und Mund auch ihr Herz, ihre Schulter und ihren Nacken zeigen kann. „Süße, zeig mal, wo ist die Schulter?“ Wirbelwind sitzt steif im Stuhl und bewegte sich keinen Millimeter. Na das klappt ja prima. Also weiter mit der Fragerunde. Als nächstes soll ich beantworten, ob sie Dreirad fährt. Ich bejahe. Auch hier ist die Ärztin verblüfft und meint die Meisten kommen in dem Alter noch nicht runter. Sie müsste es besser wissen, sie hat doch gerade ihre Körpergröße gemessen. Bei 95 cm geht es eben doch schon. „Kann sie sich schon alleine an- und ausziehen?“, geht die Fragerei weiter. „Teilweise“ antworte ich, kommt eben auf die Kleidung an. Ihrer Reaktion kann ich leider nicht entnehmen, ob das eine befriedigende Antwort ist. Die letzte Frage verwundert mich dann: „Wenn Sie ihrem Kind drei Aufgaben auf einmal stellen, führt sie dann mindestens zwei davon aus?“ Ich schaue die Ärztin verblüfft an und antworte wahrheitsgetreu. „Das habe ich noch nicht versucht. Ich stelle ihr immer eine Aufgabe nach der anderen.“ Warum solle ich es auch anders tun. Die Ärztin notiert sich „Nicht ausprobiert“.

Im weiteren Gespräch mit der Ärztin bescheinigt sie mir die altersgerechte Entwicklungsreife, und das obwohl Wirbelwind fast alle Aufgaben boykottiert hat. Zwei leichte Linien waren auf dem Papier zu erkennen, Drei von vier Bauklötzen hat sie gestapelt und den Rest hat sie vollends verweigert. Ich scheine glaubwürdig gewesen zu sein. Während ich mit der Ärztin spreche, taut Wirbelwind auf. Sie guckt sich die in der Sonne nickende Plastikblume an, plappert munter drauflos, hüpft durch die Gegend und malt etwas auf dem Tischchen in der Ecke. Ich bin stolz und schaue triumphierend zu der Ärztin, die in ihren eigenen Monolog vertieft ist. Für sie ist das Thema abgehakt, der Stempel ist gesetzt. In Gedanken ist sie wohl schon beim nächsten Kind.

Ich stelle also fest: ein Kind kann man zu nichts drängen. Und die Sinnhaftigkeit von Vorsorgeuntersuchungen wie diese, welche das aktive Mitwirken des Kindes fordern, sei auch dahingestellt. Viel sinnvoller fände ich es, die Ärzte würden die Kinder in ihrer gewohnten Umgebung besuchen, zu Hause, auf dem Spielplatz oder im Kindergarten. Hier können sie zeigen, was in ihnen steckt, ohne wie auf dem Präsentierteller vorgeführt zu werden. 

Wie sind Eure Vorsorgeuntersuchungen abgelaufen? Haben Eure Kinder immer artig gemacht, was der Arzt von ihnen wollte?

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