Arschlochkinder. Oder: Was kann die Erziehung?



Wer kennt sie nicht: die schreienden und ewig nörgelnden Kinder, die einem auf der Straße, im Einkaufszentrum oder auf dem Spielplatz über den Weg laufen. Der Comedian Mittermeier betitelte sie als Arschlochkinder. Schaut man zu den Eltern dieses Schreihalses, sieht man entweder stoisch vor sich hinstarrende Menschen oder aber keifende verzweifelte Leute, die vergeblich nach Gehorsam verlangen.
Benehmen sich unsere eigenen Kinder auch so, und wir als Eltern sehen es nur nicht, verschleiert durch die rosarote Brille des Mutter- und Vatersein? Oder ist es selektive Wahrnehmung? Sehen wir in den anderen Kindern nur die schlechten und in unseren Kindern nur die guten Eigenschaften? Klar sind wir uns bewusst, dass auch unsere Kinder Fehler machen, mal ausrasten, sich daneben benehmen. Aber die anderen Kinder sind da deutlich krasser drauf, oder?
Aber vielleicht sind die anderen Kinder auch Arschlochkinder, weil die Eltern etwas in der Erziehung falsch machen, weil sie zu viel oder zu wenig brüllen? Weil sie zu sehr über die Ausraster der Kinder hinwegsehen oder sie zu sehr in den Vordergrund stellen? Wie viel muss man brüllen, um gut zu erziehen?
Kathi von Kullerkind hatte in ihrem Blogbeitrag „Nein“ das Thema angesprochen und gefragt, ab wann man seine Kinder erziehen soll, ab wann und warum man anfängt den Kindern nicht mehr alles zu erlauben. Und diese Frage wird wohl nie abschließend beantwortet werden, weil es so viele (nicht nur Experten-) Meinungen dazu gibt. 

Ab wann erziehen?
Die einen sagen, man solle den Kindern im ersten halben Jahr jeden Wunsch erfüllen, bloß nicht schreien lassen. Andere verlängern den Zeitraum auf ein ganzes Jahr. Wiederum andere verneinen das völlig und sagen auch jüngere Babys können bereits erzogen werden.
Erziehung, gerade im ersten Jahr, bedeutet für mich Liebesentzug. Wenn man seinem Kind Dinge verbietet, die es gerne hat, die Brust verweigert, um eine längeren Trinkrhythmus zu erhalten, es schreien lässt, damit es lernt selbstständig einzuschlafen, dann heißt es für mich: ich bin nicht da für mein Kind. Es lernt nicht auf mich zu vertrauen, es kann keine stabile Bindung zu mir aufbauen. Abgesehen davon ist ein Baby noch nicht in der Lage zu verstehen, warum die Mutter plötzlich nicht mehr an die Brust darf, wenn es Hunger hat oder alleine einschlafen muss. Daher war für mich klar, dass ich im ersten Jahr meinem Kind alles gebe, was es will. Das bedeutete leider auch eine Non-Stop-Stillmaschine zu sein, da sie sehr oft an die Brust wollte und tagsüber nur kurz (in der Regel 30 Minuten) schlief. Und mit der beginnenden Fremdelphase hieß es für mich neben ihr nach dem Gute-Nacht-Lied-Singen sitzen zu bleiben und zu warten bis sie eingeschlafen war. Das konnte sich zeitweise eine dreiviertel Stunde lang hinziehen, bis ich mich in Zeitlupe auf allen Vieren aus dem Zimmer schlich. Und es hat sich gelohnt. Wirbelwind lernte nach und nach alleine einzuschlafen, ohne ewig schreien zu müssen. 

Wie erziehen?
Als sie dann älter wurde und ich das Gefühl hatte, dass ich ihr auch erklären kann, warum ich etwas nicht so mache, wie sie es will, sagte ich auch „nein“, aber immer mit Begründung. Hier einmal ein Gegenbeispiel: Ich hatte letztens einen Vater beobachtet, der seinen Jungen, der gerade schön spielte, zu sich auf die Bank rief und sagte, „Setz dich hin“. Der Junge fragte natürlich warum. Die Antwort: „Weil ich es dir sage!“. Das ist für mich falsche Erziehung. Ich appellierte lieber an ihre Einsicht. Und wenn sie etwas richtig macht, gibt es natürlich Lob, eben eine positive Verstärkung. Dies ist deutlich wirksamer, als die negative Version. Und auch generell bin ich nicht so schnell böse auf den Knirps. Fehler beispielsweise, die sie nicht absichtlich gemacht hat (zum Beispiel Becher verschütten), sehe ich nicht als solche und lache mit ihr drüber. Etwas Humor und Augenzwinkern gehört da eben auch mit rein, finde ich. Zumindest bis sie schelmisch lachend immer wieder Becher umkippt. Dann muss ich mir wohl doch noch etwas einfallen lassen, mit der Erziehung.
Mein Freund geht da wesentlich rigoroser ran, als ich. Und das ist auch eigentlich der einzige Streitpunkt in unserer Beziehung. Während ich ihr mehr Freiräume lasse, ist er deutlich strenger. Bei mir darf sie auch mal auf das Schaukelpferd klettern. Er ruft sie sofort wieder herunter, sie könnte ja hinfallen. Ich hoffe wir werden uns bald einig, bevor Wirbelwind merkt, wie widersprüchlich wir uns manchmal sind.

Ihr seht schon, das Thema kann eben nicht schwarz oder weiß betrachtet werden, es hängt auch sehr vom Charakter des Kindes und denen der Eltern sowie von der Situation ab, welche Erziehung gerade sinnvoll ist. Und solange uns die Kinder nicht den ganzen Tag auf dem Kopf herumtanzen, aber dennoch fröhlich durch die Welt stolzieren, können wir doch nichts falsch gemacht haben, oder? Na gut, wir sollten ab und zu die rosarote Brille ablegen, um ausschließen zu können, dass wir nicht doch Arschlochkinder heranziehen ;-)
In dem Sinne schließe ich den Beitrag mit den Worten von Kathi: „Ich hoffe, ich kann einfach weiter auf meine innere Stimme und auf meinen Bauch hören. Das war bisher eigentlich der beste und einzig richtige Weg“. 

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