Wohlfühl-Hülle



Ich habe vor einigen Jahren einmal an einem Workshop zum Thema Körpersprache teilgenommen. Da bekam ich das sehr anschauliche Bild vermittelt, dass wir Menschen alle eine unsichtbare Hülle um uns herum aufgebaut haben, welche den Abstand zu anderen Personen bestimmt und quasi unsere Wohlfühlzone ist. Dieser Abstand ist größtenteils sozial erlernt, kann also von Kultur zu Kultur sehr unterschiedlich sein. In der Öffentlichkeit ist diese Hülle besonders groß, da versuchen wir (in Deutschland) drei bis vier Meter zu anderen fremden Personen aufrecht zu erhalten. In der Interaktion kann diese Hülle auf 1,2 m zusammen schrumpfen, bis die Nähe für uns ungemütlich wird. Meine Hülle war bislang immer seeehr groß. Ich hatte Schwierigkeiten mich anderen Menschen zu nähern, weil ich deren Reaktion fürchtete. Wie in meinem Profil beschrieben, habe ich allmählich gelernt, bei bestimmten Personen, die mir Nahe stehen, die Hülle zu verkleinern und damit auch mehr Nähe zuzulassen. Bei meinem Wirbelwind beispielsweise existiert diese Hülle plötzlich nicht mehr. Sie scheint sich eher um uns beide zu legen und sich dann aber gehörig zu vergrößern. Dass mir ja niemand meiner Kleinen zu nahe kommt! 
Auch in der Öffentlichkeit muss man seine Hülle ab und an verringern, eben auf solchen Schauplätzen, wo sich viele Menschen auf engem Raum bewegen. Es würde zum Beispiel wenig bringen, einen drei Meter Abstand an der Kasse einzuhalten, dann würde niemand wissen, dass man an der Kasse ansteht und sich entsprechend davor stellen. Man würde nie dran kommen! Auch im Bus kann man die drei Meter nicht einhalten, dann wäre ja der Bus mit fünf Insassen bereits „voll“. Aber selbst in solchen Situationen, in denen die Hülle verringert werden muss, versuchen viele den Abstand zu wahren, indem sie zumindest den Blick senken, desinteressiert tun oder (Beispiel Bus) die Beine einziehen, wenn sich gegenüber jemand hinsetzt. Doch nicht alle halten diese ungeschriebenen Gesetze ein. Vielleicht machen sie sich aber einfach nicht so viel Gedanken darüber? Wie beispielsweise der Herr, der mit mir letzten Freitag Bus gefahren ist. Als ich den Bus betrat, war dieser schon sehr voll (ich meine den Bus, nicht den Herrn!). Der besagte Mann „fläzte“ auf einem Sitz herum, welcher zu einer Vierer-Sitzgruppe gehörte. Er machte sich so breit, dass sich sowohl neben ihm als auch ihm gegenüber niemand getraut hatte Platz zu nehmen. Ich fasste meinen Mut zusammen, schob mich an seinem Schuh vorbei (er hatte einen Fuß auf sein anderes Bein gelegt) und nahm Platz. Der „freundliche“ Herr dachte nicht einmal daran, seinen Fuß einzuziehen. Und so saß ich da und musste in jeder Kurve und bei jedem Holperstein damit rechnen seinen dreckigen Schuh gegen mein Knie gestoßen zu bekommen. Als sich der Herr glücklicherweise entschied, eine Haltestelle vor mir auszusteigen, stellte er sich hin, machte jedoch keine Anstalten Richtung Tür zu laufen. Stattdessen blieb er einfach vor mir stehen und rammte mir in regelmäßigen Abständen die Tasche ins Gesicht. Er hatte wohl noch nichts von einer „Hülle“ gehört, die er um sich haben sollte…

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